Buchmalerei
Besondere Leistungen verzeichnete im 9. Jahrhundert die in den Klöstern entfaltete und gepflegte Buchmalerei. Ihre bedeutenden Zentren entstanden in den Benediktinerklöstern wie St. Gallen, Reichenau, Fulda, Regensburg, Echternach bei Trier, aber auch in Tours, Metz, Reims, in deren Schreibstuben man nun nicht nur die Heilige Schrift für die Zwecke des Gottesdienstes in einem bis dahin unbekannten Umfang kopierte, sondern im Auftrag des kaiserlichen Hofes auch Bilderhandschriften geschaffen wurden. Sie dienten zur Vermittlung biblischer Inhalte innerhalb einer schriftunkundigen Mehrheit des höfischen Adels ( Grandvalbibel - Genesis (incl. Sündenfall)
http://rubens.anu.edu.au/htdocs/bytype/manuscripts/survey/00009.html
http://rubens.anu.edu.au/htdocs/bytype/manuscripts/survey/0001/112.JPG)
In Tours (Marcus.
Schule von Tours, 9. Jh.) arbeitete man unter dem starken Einfluß
Alkuins (Alkuin-Bibel
(834-37)), in Metz machte sich eine Vorliebe für die Antike bemerkbar,
während in Reims unter irischer Einflußnahme der germanische Sinn für
Form und Gestaltung dominierte. Zur vollen Entfaltung der Buchmalerei
trug auch die Hofschule in Aachen wesentlich bei (Matthäus.
Palast-Schule, 9. Jh.).
Reichlich
fließen die Quellen für die Erkenntnis der karolingischen Kunst in den
Miniaturen jener Zeit, die sich von den Werken der vorausgegangenen
Epoche eben dadurch wesentlich unterscheiden, daß sie zu einem gewünschten
Anschluß an die antiken altchristlichen Vorbilder stärker tendieren
und die germanische Tradition in den Hintergrund treten lassen, ohne
sie allerdings völlig zu verdrängen. Im Großen und Ganzen hält man sich
an den selbst byzantinisch moderierten strengen Darstellungsweisen des
alten Christentums (z.B. in den typischen Einzelgestalten Christi, der
Evangelisten und der Apostel; vgl. Attributierungen
im Mittelalter), doch treten bei der Illustration historischer
Szenen aus dem Leben des Erlösers Naivität und Mangel eines tieferen
Verständnisses der Form hervor, die in den übermäßig großen Händen und
Füßen, in den starren und glotzäugigen Köpfen sowie im Mißgeschick des
Faltenwurfs zum Ausdruck kommen. Bei der Farbengebung spürt man die
Bestrebung nach Pracht, womit auch die bewußte Anwendung vom kostbaren
Material korreliert. So z. B. wurde das Pergament oft mit Purpur bemalt
und die Buchstaben in Gold und Silber ausgeführt. Die Malerei der anspruchsvolleren
Handschriften kennzeichnet eine an die althergebrachte Tradition orientierte
Wahl von Deckfarben. Die Schatten werden mit dunklen, und die Lichter
mit weißen Strichen aufgesetzt. Neben der farben- und schattierungsreiche
Malerei entwickelte sich auch die schlichte unkolorierte Federzeichnung.
Ein harmonischer Synkretismus von Elementen unterschiedlicher Herkunft
macht sich bei der Ausführung der Ornamente bemerkbar. Die antikisierenden
Herzblätter, Akantuslaub, Mäander und Blumenranken, die in den Umrahmungen
der Seite dominieren, kommen mit germanischen Flechtwerken, Bändern
und Linienmustern der Initialen zusammen. Die Initialen selbst füllen
oft eine ganze Seite und enden mit einem Riemenwerk. Reich ornamental
sind ferner die sogenannten Canonestafeln ausgeführt, die die Parallelstellen
aus den vier Evangelien zusammengeordnet präsentieren. Neben Blumen
und Tieren (vor allem Vögel) kommen hier erstmals auch Genrebilder aus
dem Leben vor.
Eine
in der Kunstgeschichte schon etablierte Systematisierung der Karolingischen
Buchmalerei pflegt, sie in drei Gruppen einzuordnen. Nicht nur die früheste,
sondern auch die bedeutendste unter ihnen wird nach dem Namen der legendären
Schwester Karls, der Äbtissin Ada, bezeichnet, die den Auftrag für ein
um 800 geschaffenes Evangeliar (Hofschule Karls des Großen; Trier: Stadtbibliothek) gab. Sie ist am engsten mit der kaiserlichen Familie verbunden. Im Ada-Evangeliar sind die Evangelisten (Evangelist
Johannes) bartlos dargestellt, an würdevoller Haltung, begeistertem
Ausdruck und einer ausgereiften Nachahmung des antiken Faltenwurfs lassen
ihre Bilder aber nichts übrig wünschen. Dies kommt in Einklang mit der
irisch beeinflußten Ornamentik der Canonestafelbögen und des einzigen
großen Initials.
Obwohl
ein leidenschaftlicher Förderer der schriftlichen Kultur - hier denkt
man gleich an die durch die Einführung der Karolingischen
Minuskelschrift / Evangeliar
Godesscalcs, A.D. 781 / Ada-Handschrift,
Saec. VIII exeunte / Züricher
Alkuinbibel, ca. A.D. 800, zustandegekommene Schreibreform - war
Karl selbst analphabet. Trotzdem sind durch ihn veranlaßte Evangelistare
keine Seltenheit gewesen. Unter einem Evangelistar versteht man ein
Compendium, das nur diejenigen Abschnitte der Evangelien umfaßt, die
in der Messe eine unmittelbare Anwendung finden.
781/83,
also schon zur frühkarolingischen Zeit, fertigte ein Mönch im Auftrag
des Königs und seiner Gemahlin Hildegard ein Evangeliar, das nach seinem
Namen als Godescalc-Evangelistar (Hofschule Karls des Großen; jede Seite:
30,5 x 21 cm, Paris: Bibliothéque Nationale, ursprünglich St. Sernin zu Toulouse) in die Kunstgeschichte eingegangen ist, aus
dem sehr oft das Blatt mit dem thronenden jugentlichen Christus zitiert
wird. Es zeigt den frontal dargestellten Christus mit in Brusthöhe erhobener
lehrenden und segnenden Rechten und der Bibel in der Linken Thronender
Christus
http://ishi.lib.berkeley.edu/history155/slides/kingship/Other/Christ/christ-godescalc.html
http://www.geschichte.2me.net/dch/dch_222.htm.
Markant an diesem Seitenbild ist die allgegenwärtige Präsenz der goldenen
Farbe als Zeichen göttlicher Herrlichkeit. Sie kommt im Heiligennymbus,
in der Inschrift "Jesus Christus", in den kleineren Mauerflächen, dem
Evangelienbuch, dem Gewand, dem Kissen, am Boden des Thrones sowie am
Rahmen vor. Von den insgesamt sechs, je eine Seite großen Bildern des
Godescalc-Evangeliars zeigen vier weitere die Evangelisten Godescalc
Evangeliar Karls des Großen - Evangelist Markus
http://www.wisc.edu/arth/ah201/32.charlemagne.2.html
http://www.wisc.edu/arth-bin/get/id=111156.jpg
Godescalc Evangeliar Karls des Großen - Evangelist Lukas
http://www.wisc.edu/arth/ah201/32.charlemagne.2.html
http://www.wisc.edu/arth-bin/get/id=111157.jpg
Godescalc Evangeliar Karls des Großen - Evangelist Mattäus
http://www.geschichte.2me.net/dch/dch_237.htm.
Eine entfernte genealogische Nähe der Karolingischen Buchmalerei zum
Altgermnischen mutet das Ornament in der Form eines Liniennetzgeflächt
an, das die strenge Komposition umschlingt. Im Zusammenhang mit der
Berechtigung, den Begriff "Karolingische Renaissance" auch auf die Buchmalerei
jener Zeit bezogen zu verwenden, ist das beiläufige Vorhandensein von
Dinglichem (Bäume, Sträucher, eine Mauer, Architekturformen) zu unterstreichen.
Es steht für die vergehenden Erinnerungen an die Erde. Bemerkenswert
ist weiterhin die Unbeachtung von natürlichen Proportionen und Zusammenhängen
sowie die Vereinfachung der Bewegungen, was darauf hinzielt, den Ausdruck
zu steigern. Die bewußt gesuchte Pracht des Codexbuches tritt in der
Art und Weise seiner handschriftlichen Ausführung am deutlichsten hervor:
geschrieben ist das Evangeliar auf purpurnem Pergament in Gold und Silber.
Die Einrahmungen der Kolumnen und der Initialen weisen eine äußerst
dekorative Ornamentik nordischer Prägung auf. Dasselbe Codex enthält
ebenso die Doppelseite mit dem Lebensbrunnen und einer Initiale (Godescalc
Evangeliar Karls des Großen - Lebensbrunnen). Der Lebensbrunnen
stellt eine Tholos nach antikem Muster dar. Der Rundbau wird von acht
steilbasigen Säulen umgangen und endet nach oben mit einem Zeltdach.
Der Architrav weist die Form des Kreisbogens auf, ist gewölbt und mit
Palmettenmuster verziert. Das konisch zulaufende Zeltdach wird von einem
griechisch ausgeführten Kreuz gekrönt, das auf einem Kugelknauf fußt.
Die im Namen des Lebens erlittene Passion Christi wird durch den vor
der Mitte des Archtravs herunterhängenden Kelch symbolisiert. Das Brunnenbecken
befindet sich inmitten des Säulenumgangs und wird als schlankenartige
Umfriedung mit Gitterbrüstung erkennbar. Der architektonische tempelartige
Bau der Tholos ist von Tieren und Pflanzen des Paradieses umgeben, die
das lebensspendende Wasser des Brunnens trinken kommen. Dadurch wird
auf die Parallelle zwischen der himmlischen Lebensquelle und dem Taufwasser
der christlichen Kirche hingedeutet. Drei Begriffe bringen die Funktion
des Wassers als Symbol der durch den Kreuzestod Christi in Gang gesetzten
Erneuerung zum Ausdruck: lebendiger Quell (fons vivus), Wasser der Wiedergeburt
(aqua regenerans) und reinigende Welle (unda purificans). Auf diese
Weise wird die Osternsymbolik mit der Taufe verbunden. Gleichzeitig
entsteht ein für das Evangelium fundamentaler Kreuslauf: Jesus kommt
aus dem Lebensquell des Gottvaters her, segnet die Angehörigen seiner
Kirche im Taufwasser und sie stehen mit ihm auf zu einem seligen ewigen
Leben. Mit dieser Genealogie lassen sich die Widmungsverse dieser Handschrift
in Verbindung setzen, da sie darauf hinweisen, daß Karl der Große zu
Ostern 781 seinen Sohn Pippin (777-810) in Rom vom Papst taufen ließ.
Eine
ihrer Wichtigkeit nach nicht weniger bedeutsame Abzweigung der Ada-Gruppe
ist in Fulda nachweisbar. Ein hier fertiggestellter Codex aus dem zweiten
Viertel des 9. Jahrhunderts (Würzburg: Universitätsbibliothek; Buchdeckel
- Deesis) enthält ein Blatt, das den Hl. Lukas zeigt. Die Darstellung
der vier Evangelisten mit ihren Symbolen ist für das Bildprogramm der
Evangelienbücher allerdings typisch. Gegen die Tradition des Evangelistenbildes
spricht das über den Kopf geschlagene Tuch, was das gleichsame Erbrausen
des Gewandes und des Mantels von Schwingungen bedingt. Noch stärker
zur Betonung seiner geistigen Extatik trägt die Anspannung um Braue,
Nase und Mund bei, die von seinem Gesichtsprofil zu entnehmen ist. Auch
seine Hand, die die göttliche Offenbarung aufschreibt, findet offensichtlich
keine Ruhe. Die magische Erregung ist nicht zuletzt durch die Emporstaffelung
der Säulen, die das Bild flankieren, sowie durch den roten Vorhang,
den ein goldener Kreisbogen hält, unterstrichen. Der Vorhang steht symbolisch
für die Grenze zwischen dem Diesseitigen und der jenseitsgewandten Betätigung
des Evangelisten. Der Stier, das Zeichen des Hl. Lukas, ist ebenfalls
in einer dynamischer Bewegung dargestellt. Ebenso der Schule von Fulda
rechnet man "Das Lob des Hl. Kreuzes" von Hrabanus Maurus (um 840,Wien:Nationalbibliothek;
http://rubens.anu.edu.au/htdocs/bytype/manuscripts/survey/0001/104.JPG) an.
Spezifische
stilistische Originalität entwickelte die sog. Gruppe des Wiener Krönungsevangeliars
(Wien: Schatzkammer), von der zum Anfang des 9. Jahrhunderts auch das
Aachener Evangeliar (Hofschule Karls des Großen; Aachen: Münster, Kaiserbibel)
stammt. Im letzten findet man eine Darstellung der vier Evangelisten
(Aachener
Kaiserbibel - die vier Evangelisten >Bild 4), die sich wesentlich
von der des Hl. Lukas aus dem Fuldaer Evangeliar unterscheidet. Alle
vier sind deutlich voneinander abgewand und verschieden geneigt. Umschlungen
werden sie von grünen und blauen Farbwellen, aus denen die jeweiligen
Symbole (Mensch, Adler, Löwe, Stier) erscheinen. Der tiefe Hintergrund
weist landschaftliche Motive auf, die aber kaum zu sehen sind, weil
sie die Wellen fast verbergen. Gerade die Wellen bilden hier die Trennlinie
zwischen dem sakralen und dem Profanen heraus. Die seelische Unruhe
ist nicht zu übersehen. Das Entscheidende konzentriert sich auf die
Vermittlung transzendentaler Erfahrung und ihren Ausdruck.
Das Wiener Krönungsevangeliar (um 801, Hofschule Karls des Großen; Wien: Schatzkammer) zeichnet sich durch die Großartigkeit der Auffassung der Evangelistenbilder aus Wiener Krönungsevangeliar - Evangelist Markus
http://rubens.anu.edu.au/htdocs/bytype/manuscripts/survey/0001/100.JPG
http://www.wisc.edu/arth/ah201/32.charlemagne.3.html#coronationgospels Wiener Krönungsevangeliar - Evangelist Johannes
http://rubens.anu.edu.au/htdocs/bytype/manuscripts/survey/0001/102.JPG
http://www.wisc.edu/arth/ah201/32.charlemagne.3.html#coronationgospels.
Man merkt schon ein tieferes Verständnis der Körperformen und des Gewandwurfs,
so z.B. in der Lebensfülle und der Würde der Köpfe, die an die Antike
erinnern. Der antike Hauch ist weiter in den Säulenstellungen der Canonestafeln
zu spüren, die entweder mit Flachbögen - geschmückt mit Eierstäben und
Akantus - oder mit Giebeln verbunden werden, was der Wandgliederung
der Lorscher Königshalle gleichen. Die Buchstaben selbst sind in Gold
auf Purpur ausgeführt Wiener Krönungsevangeliar - Anfangsseite des
Markus-Evangeliums
http://rubens.anu.edu.au/htdocs/bytype/manuscripts/survey/0001/101.JPG
http://www.wisc.edu/arth/ah201/32.charlemagne.3.html#coronationgospels.
Zu den überkommenen
Meisterleistungen der Ada-Gruppe gehören weiterhin das Dagulf-Psalter
(783-95, Hofschule Karls des Großen; Wien: Nationalbibliothek) und das
Lorscher Evangeliar (um 810, Hofschule Karls des
Großen; Bibliotheca Apostolica Vaticana - Rom, Victoria and Albert Museum
- London und Bibliotheca Documentara Batthyaneum - Alba Julia/RO;
Lorscher Codex - Majestas Domini
http://ishi.lib.berkeley.edu/history155/slides/kingship/Other/Christ/christ-lorsch.html
http://warp6.dva.de/damals/thema/them_0899_4.html
Lorscher
Codex - Evangelist Johannes >Bild 6
Lorscher
Codex - Evangelist Johannes > Bild 2). Höfisch ausgerichtete Buchmalerei
wurde vor allem in Aachen, Trier und Tours (Stuttgarter Psalter (um
830, Tours, Schule des Klosters St. Martin) Moses und die Israeliten
http://dochost.rz.hu-berlin.de/dissertationen/kunstgeschichte/reichel-andrea/HTML/images/BA159,160.jpg
>Bild 159) entwickelt. Die um 800 in Aachen entstandene Kaiserbibel
(Wien: Schatzkammer) enthält eine Miniatur, die den Evangelisten Johannes
zeigt. Von dem Äußeren her - Gewänder, landschaftlicher Hintergrund
- wirkt das Bild eher heidnisch-römisch. Mit der schärfsten Weiterpflege
der klassischen Überlieferungen verbindet man die künstlerische Tätigkeit
der Schule von Tours, zu deren Meisterwerken aus der Zeit nach Karl
dem Großen die sogenannte Viviansbibel (Museum des Louvre; Viviansbibel
- Anfangsseite des Psalteriums) gehört. Sie ist Karl dem Kahlen
gewidmet (Widmungsbild http://dochost.rz.hu-berlin.de/dissertationen/kunstgeschichte/reichel-andrea/HTML/images/BA141,142,143.jpg
>Bild 142) und wurde ihm 850 vom Abt von St. Martin in Tours (dem Grafen
Vivianus) überreicht. Diese Szene zeigt das Dedikationsblatt: der Abt
ist von seinen Mönchen begleitet, der Kaiser von seiner Gefolge umgeben.
Die anderen Bilder füllen auch ganze Seiten. Ihre Reihe beginnt mit
der Darstellung der Bibelübersetzung des heiligen Hieronymus (Viviansbibel
- Anfangsseite des Lebens St. Hieronymi). Dann folgen Schilderungen
aus der Genesis und dem alten Testament. Insbesondere ragt die Abbildung
Davids mit seinen Gefährten hervor, die neben und unter ihm auftreten.
Die Harfe in seinen Händen sowie die Gewänder lassen die Antike deutlich
spüren. Ein auch hier wiederkehrendes Thema ist die Darstellung des
thronenden Christus und der Evangelisten. Auf dem selben Blatt des Majestas
domini
Viviansbibel - Majestasbild
http://rubens.anu.edu.au/htdocs/bytype/manuscripts/survey/0001/115.JPG http://ishi.lib.berkeley.edu/history155/slides/kingship/Other/Christ/christ-vivian.html sind noch die Brustbilder (in Rundfeldern) zu sehen. Das Christusbild
läßt eine bis ins Detail reichende Ähnlichkeit mit demjenigen aus dem
Lothar-Evangeliar (vgl. unten) erkennen Zwei Szenen aus der Apokalypse
schließen den Zyklus ab. Eindruckvoll ist die mit ihrem edlen Laubwerk
eindeutig der antiken Formenwelt verpflichtete Ornamentik. Dazu kommen
Netzverschlingungen, zierliches Flechtwerk und Bänder. Zur Dekoration
gehören weiter kleine Bilder, die Szenen aus dem wirklichen Leben zur
Vorschau bringen.
Ebenfalls
für Karl den Kahlen wurde auf Anlaß des Klerikers Berengar das goldene
Evangeliar aus St. Emmeram (um 870, St. Emmeram in Regensburg: München:
Bayerische Staatsbibliothek) gefertigt (Codex
Aureus aus St. Emmeram Vorderdeckel). Das Dedikationsbild zeigt
wieder den thronenden Kaiser (Codex
Aureus aus St. Emmeram - Herrscherbild Karls des Kahlen), diesmal
aber nicht nur von zwei Waffenträgern, sondern auch von zwei schwebenden
Engeln und zwei Frauenfiguren (Francia und Gothia) umgeben. Auf dem
Blatt mit der Anbetung des Lamms tauchen neben den vierundzwanzig Ältesten,
die ihm leidenschaftlich ihre Kronen darbringen, noch die antiken Personifikationen
des Meeres und der Erde auf. Weitere Bilder stellen den thronenden Christus
(Codex
Aureus aus St. Emmeram - Majestas Domini) in der Begleitung der
Evangelisten und den großen Propheten (in Brustbildern gefaßt) dar.
Allerdings verfügt dieses Evangeliar über noch eine separate Darstellung
der Evangelisten (Codex Aureus aus St. Emmeram - Evangelist Mattäus).
Die Werke der zweiten Gruppe in der Buchmalerei des 9. Jahrhunderts können zusammenfassend als "malerischer" ausgerichtet charakterisiert werden. Sie wurden in Metz, Köln, Freising und Weltenburg geschaffen. Der Metzer Schule rechnet man ein mit dem Godescalc-Evangeliar in der Themenwahl für die Miniaturen sowie in dem prächtigen Bilderschmuck verwandtes Evangeliar aus St. Medard zu Soissons (heute Paris: Bibliothéque Nationale) an.
Evangeliar aus St. Medard in Soissons - Kanontafel
http://rubens.anu.edu.au/htdocs/bytype/manuscripts/survey/0000/97.JPG
Evangeliar aus St. Medard in Soissons - Initiale aus dem Markus-Evangelium
http://rubens.anu.edu.au/htdocs/bytype/manuscripts/survey/0000/99.JPG Evangeliar aus St. Medard in Soissons - Anbetung des Lames
http://rubens.anu.edu.au/htdocs/bytype/manuscripts/survey/0000/96.JPG Evangeliar aus St. Medard in Soissons - Evangelist Markus
http://rubens.anu.edu.au/htdocs/bytype/manuscripts/survey/0000/98.JPG
Höchstwahrscheinlich ist es schon zur Zeit Karls des Großen entstanden,
fest steht aber, daß es 826 durch Ludwig den Frommen der Abtei von St.
Medard geschenkt wurde. Unter den großen Darstellungen findet man -
von einer großen Säulenhalle umgeben - einen jugendlichen Jesus (auf
Wolken thronend), die Evangelisten und einen eindruckvollen dreitürmigen
Bau, der die Kirche Christi symbolisiert. Auch die Sinnbilder der Evangelisten
sind hier abgebildet. Ein anderes Blatt ist der Allegorie vom Brunnen
des Lebens gewidmet. Von allen Seiten nähern sich dem von einem achtsäuligen
Rundbau umschlossenen Wasserquell Tiere (Steinböcke, Gemsen, ein Hirsch)
und Vögel (Perlhühner, Tauben, Fasanen, ein Storch, ein Schwan, Pfauen,
Hähne mit ihren Hühnern) an, die auffallend naturgetreu dargestellt
sind. Im Hintergrund sieht man eine tiefeinspringende Nische. Die großen
Initialen (Q und O) des Lukas-Evangeliums sind auch mit Miniaturen versehen,
die den thronenden König des Himmels und die Heimsuchung zeigen.
Eine
Darstellung Christi als Weltenrichter (Evangeliar
Kaiser Lothars aus der Abteikirche des hl. Martin - Christus als Weltenrichter) findet man im Evangeliar Kaiser Lothars (um 850 in Metz entstanden,
heute Paris: Bibliothéque Nationale) aus der Abteikirche des heiligen
Martin zu Tours. Die Überstellung des Herrn gegenüber der Welt wird
durch seine Erscheinung in einem kosmischen Raum betont. Wie auf dem
Einband des Codex aureus (vergl. Psalterium Aureum aus St. Gallen) wird
er auch hier von der Mandorla umgeben. Die symbolische Berechtigung,
Weltgericht zu halten, kommt durch den sein Haupt umstrahlenden Kreuznimbus
zum Ausdruck. Der Golddenar, den der Weltenrichter in der Rechten hält,
steht als Zeichen für den Lohn der Seinen, den sie im Weltgericht erhalten.
Als charakteristisches Merkmal der Metzer Schule zur späteren Karolingerzeit
läßt sich die Neigung zur immer reicheren Ausbildung des Historischen
verzeichnen. Zum Ausdruck kommt sie nicht in der prächtigeren Illustration
der biblischen Geschichte, sondern vor allem in dem sich zum immer festeren
Bestandteil des Bilderprogramms etablierenden Dedikationsblatt. Man
findet es zuerst eben im Evangeliar Kaiser Lothars. Der Kaiser ist in
antik römischen Gewändern thronend dargestellt (Evangeliar
Kaiser Lothars - Lotharsbild). Die Insignien der Weltmacht erfahren
weitgehende Präsenz: die Krone glänzt auf dem Haupt, und mit der Rechten
stütz sich der Herrscher auf das goldene Zepter. Eine runde Fibula hält
den Mantel, dessen Pracht durch in Gold aufgesetzten Lichter betont
wird, auf der rechten Schulter fest. Das Gesicht ist im Unterschied
zu dem Christi aus demselben Codex bartlos, mit großen Augen und gebogener
Nase, derb und in bräunlicher Färbung gezeichnet. Neben dem Thron stehen
zwei Waffenträger. Auffallend sind auch die Kanontafeln (Evangeliar Kaiser Lothars - Kanonentafel). Ihre Bögen zieren kleine Vögelfiguren, Tiergestalten, Fabelwesen und sogar kleine Genreszenen aus dem Leben,
die das Streben nach Einbeziehung der Wirklichkeit in die Welt des Heiligen
verraten. Bemerkenswert ist ebenfalls die Darstellung der Evangelisten
(Evangeliar Kaiser Lothars - Evangelist Johannes).
Die
dritte "Schule" entstand in St. Gallen und zeichnete sich durch die
Lebendigkeit, Sicherheit der Ausführung und Ausdruckskraft ihres Stils
aus (http://www.geocities.com/tsabalat/Hausarbeiten/Seiten/stgallen.htm>II.Schriftkultur,
Buchkunst). In der karolingischen Zeit kam es in St. Gallen zu einer
wesentlichen Erneuerung der seit langem gepflegten irischen Tradition
auf dem Gebiet der Miniaturmalerei (http://www.stibi.ch/ausstellung/kostbarkeiten/cod_sang_51.htm),
die sich vor allem darin erkennen läßt, daß das Irische eine Beschränkung
nur auf die Ornamentik erfuhr, während man sich in den Figurdarstellungen
völlig dem schon vorherrschenden Trend nach Antikisierung zuwandte.
Die Meister dieser Ausrichtung schufen das Folchard-Psalter (um 865,
St. Gallen: Stiftsbibliothek; Q-Initiale), Psalterium Aureum (vor 883, St. Gallen: Stiftsbibliothek; Codex
Sangallensis), Psychomachie des Prudentius (letztes Viertel des
9. Jh., Bern: Stadtbibliothek). In der prachtvollen Ornamentik des im
Auftrag des Abts Hartmuot von einem Mönch namens Folchart ausgeführten
Psalters kommen Laubwerk und nordisches Bandgeflecht in Einklang. Neben
den typischen religiosen Motiven der damaligen Buchmalerei tritt die
Darstellung der Klosterschule von St. Gallen hervor. Gezeigt werden
ihre acht Schüler beim Lesen, Schreiben und Nachdenken. Zu verzeichnen
ist dabei ein naives Bestreben, das Leben aus einer unmittelbaren Wirklichkeitsnähe
zu schildern.
Der
Miniaturenzyklus des goldenen Psalters fängt mit der Darstellung des
thronenden David an. Er schlägt die Harfe, umgeben von vier weiteren
Figuren, die ebenfalls lebhaft musizieren und tanzen. Die ganze Szene
ist von einer Bogenarchitektur auf zwei Säulen mit Laubkapitellen eingefaßt.
Eindeutige Dominanz unter den Bildern erfährt die Thematik des Lebens
Davids (http://www.stibi.ch/ausstellung/kostbarkeiten/cod_sang_22.htm):
die Salbung durch Samuel, die Begegnung mit Saul, der simulierte Wahnsinn
Davids, der Auszug zur Schlacht und verschiedene Kriegsszenen. Ein Blatt
ist dem beliebten Motiv der Bibelübersetzung durch den heiligen Hieronymus
gewidmet. Schöne ornamentale Dekoration weisen die mit Gold auf Purpurgrund
sowie unter intensiver Anwendung von saftigem Grün und Zinnober ausgeführten
großen Initiale auf. In ihr verbindet sich das Flechtwerk von verschlungenen
Bändern mit Akantusblättern. Markant nicht zuletzt sind allerdings die
phantastischen Tierköpfe der Endungen, die wieder einen Hauch germanischer
Überlieferung spüren lassen.
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