Höhepunkt der Buchmalerei in der ottonischen Zeit - Zentren in Trier,
Echternach, Regensburg, Hildesheim, Köln

Allgemeines
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Die ottonische Buchmalerei läßt sich als Höhepunkt dieses Genres während der ganzen Romanik bezeichnen. Dies nicht nur, weil sie traditionsgemäß ihre zentrale Position in der bildkünstlerischen Entwicklung behält, sondern auch deswegen, da sich die nachfolgenden Artefakte auf diesem Gebiet mit Vorliebe an die Vorbilder eben dieser Zeit wandten. Ihrerseits entstanden die Miniaturen der ottonischen Frühromanik nicht an einer von Vorläufern freien Stelle. Ausgangspunkt bildeten in dieser Hinsicht die Kopien karolingischer Hauptwerke. Diese Tradierung war aber keinesfalls bloße Nachahmung. Schon von Anfang an kündete sich eine konsequente Neigung zur Emanzipierung an. Obwohl die Motive für die Wahl der Themen künstlerischer Gestaltung noch lange Zeit ähnlich bleiben, so kommt durch die Sprängung des karolingischen bildgestalterischen Kanons eine deutliche Erneuerung zustande. Man findet sie zunächst im Gero-Codex (um 975, Lorsch; Darmstadt: Hessische Landesbibliothek), als dessen Vorbild das karolingische Lorscher Evangeliar oft zitiert wird. Der Vergleich beider Matthäusbilder läßt eine erneuernde Abweichung hervortreten: die innere Gliederung der Rahmenarchitektur wird überspielt und die Gestalt ragt weit in das Bogenfeld hinein.

Viel sicherer ist diese Tendenz aber im Codex Egberti (um 980, Trier; Trier: Stadtbibliothek) (aus Codex Egberti / Kreuzigung Christi >Bild 94 / Lanzenstich und Keulenschlag >Bild 507) zu spüren. Dieses Evangeliar schloß die erste große Bilderzählung der Ottonenzeit ein. Wieder hat man hier mit einer Aufnahme selbst vorkarolingischer, spätantiker Tardition zu tun. Trotzdem beeindruckt in der Miniatur, die die Kreuzabnahme und die Grablegung zeigt, die Neuartigkeit der klaren und kühnen Formensprache. Damit korrespondiert auch die Reduktion der Gestalt auf Blick und Gebärde. Eine strenge Vertikalität der Gestalt und der durch die weitaufgerissenen Augen starr wirkende Blick des inspirierten Evangelisten charakterisieren das Johannesbild. Die streng aufgerichtete Haltung des Evangelisten entspricht dem senkrechten Pfeil des aus der Mitte der oberen Rahmenkante herabstoßend inspirierenden Adlers. Diese Interpretation des Blicks wird emblematisch für die Trierer Werkstatt.

Zu den hervorragendsten Künstlern des ausgehenden 10. Jahrhunderts gehört der Meister des Registrum Gregorii (Trier: Stadtbibliothek). Es ist eine um 983 in Trier entstandene Niederschrift der Visionen Papst Gregors. Ein Blatt des Registrum (Registrum Gregorii - Thronender Papst Gregor der Große >A-Z>Stadtbibliothek Trier>Abt. Weberbach>Foto 3) stellt in der Bildmitte den in einer großen Arkade thronenden Gregorius dar. Der durch die auf seiner Schulter sitzende Taube inspirierte Papst lauscht den Worten des Heiligen Geistes und diktiert sie. Damit das Geheimnis der Inspiration verborgen bleibe, ist der Schreiber von Gregor dem Großen durch einen Vorhang getrennt. Eine wichtige Funktion kommt wieder der Architektur zu. Sie steht als Abbild für den realen Bau einer Kirche und symbolisiert die "Ecclesia". Ihr Mittelpunkt ist der Papst selbst, wodurch sein Rang hervorgehoben wird. Das Bild Gregors ist deswegen als einen Meilenstein zu verstehen, der am Anfang einer echt ottonischen Buchmalerei gesetzt werden soll, weil es von einer unübertroffenen Präzision des Einsatzes neuer künstlerischer Mittel zeugt. Eine deutliche Umkehrung der in den karolingischen Werkstätten etablierten Darstellungsweise kommt insbesondere beim Abbild von Architektur zum Ausdruck. Während zur Karolingerzeit das Architektonische immer wieder innerhalb des Bogens abgebildet wurde, ist hier die Rahmenarkade in die abbildlichen Architektur hineinprojiziert und umgibt die herausragende Gestalt Gregorii. Dieses Kompositionsverfahren wurde durch die Kölner Malschule übernommen, wovon in der zweiten Periode der Entwicklung dieser Werkstatt das Evangeliar des Kölner Priesterseminars unumstritten Zeugnis ablegt.

Reichlich tradiert wurde aus dem Registrum Gregorii auch das Kaiserbild (Registrum Gregorii: Kaiserbild - Huldigung durch Germania, Francia, Italia und Alamannia), das ursprünglich dem Bild Gregors gegenüberstand somit eine Einheit bildete. Es stellt wahrscheinlich Otto II. dar und ging als Prototyp ottonischer Herrscherbilder in das feste Bildprogramm der Romanik etwa im Hauptwerk der sogenannten Liuthargruppe (dem Aachener Otto-Evangeliar), dem Evangeliar Ottos III. (Herrscherbild) und in einem Fragment aus Bamberg ein. Markant am Kaiserbild ist die Baldachinarchitektur, die im Unterschied zum Gregorbild nicht auf einen Basilikabau, sondern auf einen Zentralbau verweist. Wieder ist hier eine historisch bedingte Zuneigung zum Byzantinischen zu spüren. Die Säulen des Zentralbaus symbolisieren die Welt und zugleich die vier Teile des Reiches. Beiderseits treten die huldigenden Provinzen an den Kaiser heran. Der Komplex der Symbole wird durch die von ihnen getragenen Kugeln erweitert, die anstelle des Reichsapfels als Sinnbild weltlicher Macht auftreten. Die Anspielung des Zentralbaus auf die Pfalzkapelle Karls des Großen in Aachen suggeriert die Bestrebung der ottonischen Dynastie, an Karls Reich anknüpfend, das Römische Reich der Antike wiederzubeleben.

Im Mittelpunkt der künstlerischen Tätigkeit der Liuthargruppe steht das Aachener Otto-Evangeliar (um 1000, Reichenau(?)/Trier; Aachen: Domschatzkammer), dessen Meister der Gruppe den Namen gab. Maßgeblich für die Stilbildung der ersten Phase sind die Merkmale des Aachener Otto-Evangeliars. Zu ihnen zählen eine feine, zartgliedrig überlängte Körperbildung, ein betontes Reichtum malerischer Nuancen, sowie die Kühnheit der Erfindung bei der Kombination der Bildzeichen. Letzteres kann besonders gut am Beispiel des Kaiserbildes aus dem Evangeliar Ottos III. (Aachener Evangeliar: Kaiserbild (Initiale mit der Apotheose Ottos III.) >Zeitreise>900-1000>Exponate>Bild 3) veranschaulicht werden. Es stellt den ottonischen Herrscher mit den Attributen des Kosmokrators dar. Er thront mitten einer Mandorla, die als vieldeutiges Weltsymbol und Attribut Christi zu verstehen ist. Die Christus-Ähnlichkeit wird durch die den Kaiser umgebenden Evangelistensymbole unterstrichen und korrespondiert mit dem Weltherrschaftsanspruch des Abgebildeten. Die symbolischen Zeichen der Evangelisten halten ein Schriftband, das als Sinnbild für das immaterielle Wort steht. Die Titulusinschrift ("Hoc Auguste Libro Tibi Cor Deus Induat Otto" - Mit diesem Buch, Otto Augustus, umkleide Gott dein Herz) der gegenüberliegenden Seite, die den Akt der Überreichung des Buches durch Liuthar zeigt, weist darauf hin, daß Otto seine Herrschaft auf die Evangelien gründet. Eine Akzeptanz dieser Behauptung kommt durch die Huldigung des Kaisers durch die neben der Mandorla stehenden Könige zum Ausdruck. Unter ihnen sind noch zwei Krieger und zwei Geistliche zu sehen. Diese Komposition läßt das Kaiserbild mit dem Bild Karls des Kahlen in der Grandvalbibel vergleichen. Dies veranlaßt zu schließen, daß die in der karolingischen Buchmalerei praktizierte Anwendung der Mandorla als Herrscherattribut auch unter den Ottonen nichts einbüßen mußte.

Unter den anderen Werken der Liuthargruppe sind weiter das Evangeliar Ottos III. (998-1001, Trier; München: Bayerische Staatsbibliothek) (
Evangeliar Ottos III.
Länderhuldigung / Austreibung aus dem Tempel >Bild 160), das Buch Jesaja mit Kommentar (um 1000, Reichenau (?) / Trier; Bamberg: Staatsbibliothek) (Buch Jesaja mit Kommentar), ein Hohes Lied, Sprüche Salomonis und Buch Daniel mit Glossen (1000, Reichenau (?) / Trier; Bamberg: Staatsbibliothek) (Hohes Lied, Sprüche Salomonis und Buch Daniel mit Glossen; Zug der Getauften zum Kreuz) sowie ein Tropar (1001, Reichenau (?) / Trier; Bamberg: Staatsbibliothek) (Tropar und Sequentiar; Geburt Christi; Ostermorgen) und drei Bamberger Werke (
Fuldaer Sakramentar (um 997-1011, Fulda; Bamberg: Staatsbibliothek):
Verkündigung an die Hirten und Geburt Christi / Abendmahl und Fußwaschung / Die Frauen am leeren Grab - Der Auferstandene erscheint den Frauen;
Gebetbuch Heinrichs II. (1014-24, Seeon; Bamberg: Staatsbibliothek)
http://www.uni-bamberg.de/~bab020/hs/hs3334.html
http://www.uni-bamberg.de/staatsbibliothek/hs/hs3334.html;
Bamberger Sakramentar: Kaiserkrönung Heinrichs II.) zu nennen. Abschließend für diese Entwicklung steht die Bamberger Apokalypse (um 1020, Reichenau (?); Bamberg: Staatsbibliothek) (
Bamberger Apokalypse
http://www.uni-bamberg.de/staatsbibliothek/bamberger-apokalypse
http://www.faksimile.ch/frame_werk33_d.html
http://www.uni-bamberg.de/staatsbibliothek/hs/hs26.html). Gemeinsam haben diese Werke einige Merkmale, die über die Zeitwandlungen hinaus ziemlich konstant bleiben. Andererseits lassen sich innerhalb der Zeitspanne, die die aufgezählten Handschriften markieren, bei aller Mannigfaltigkeit künstlerischer Präsenz einige Phasen der Entwicklung dieser Gruppe feststellen.

Mit der Entstehung des Bamberger Danielkommentars endet die erste Phase in der gestalterischen Entwicklung der Liuthargruppe. Er enthält das reichlich stilisierte Initial mit der Inspiration des Daniel. Durch die blumenhaft rankenreiche Ornamentierung und die Situierung Daniels mit seinem inspirierenden Engel in den Verzweigungen des Buchstaben gewinnt das Bild phantastische Züge. Im Unterschied zur karolingischen Buchmalerei und damit auf vorkarolingische Vorbilder zurückgreifend kommt nun in der ottonischen Kunst der prächtigen Gestaltung des Initials erneut eine wichtige Bedeutung zu.

Die Entwicklungstendenzen in der Buchmalerei der zweiten Phase lassen sich am deutlichsten an den Darstellungen der Evangelisten veranschaulichen. Besonders geeignet für einen solchen Vergleich sind zweifelsohne die Perikopenbücher (
Perikopenbuch Heinrichs II. (vor 1012, Reichenau; München: Bayerische Staatsbibliothek);
http://www.steinweg-kunst-collection.de/Faksimile.htm
http://www.steinweg-kunst-collection.de/perikodt.htm
Christus krönt Heinrich und Kunigunde,seitlich Petrus und Paulus. Widmungsbild (oberer Teil) des Perikopenbuchs Heinrichs II.
http://www.uni-bamberg.de/staatsbibliothek/postkarten/kart47.html
Verkündigung an die Hirten
http://www.geschichte.2me.net/dch/dch_365.htm
http://www.muenster.de/~kanttest/fach/f-kuns/b_mit/01.htm
Christi Himmelfahrt
http://www.geschichte.2me.net/dch/dch_366.htm
Schlüsselübergabe an Petrus
http://dochost.rz.hu-berlin.de/dissertationen/kunstgeschichte/ reichel-andrea/HTML/images/BA141,142,143.jpg >Bild 143
Die Frauen am Grabe
http://dochost.rz.hu-berlin.de/dissertationen/kunstgeschichte/ reichel-andrea/HTML/images/BA466.jpg) dieser Zeit. In ihnen treten die Evangelistenbilder vor allem durch die zunehmende Betonung der Linie und die zugleich abnehmende Mannigfaltigkeit der Farbe hervor. Dies erlaubt eine Verschärfung der Konturen bei deutlicher Verflachung der Farben, was zu deutlicherer Kontrastebildung führt. Ebenfalls gesteigert erscheint die Prägnanz der Form, insbesondere bei der Komposition der Gestalten. Ihre Vollendung erfährt die Entwicklung des Bildraumes unverkennbar in der Bamberger Apokalypse (Bamberger Apokalypse / Die Anbetung des Lammes / Das große Halleluja / Das neue Jerusalem / Geburt Christi und Verkündigung an die Hirten / Ostermorgen / Geistsendung). Spürbar wird eine Zweischichtigkeit seines Aufbaus. Markant ist die sakrale Monochromie des Goldgrundes, die raum- und gestaltlos wirkt. Auf diesem Hintergrund werden Figuren ins Bild hineinprojiziert, deren Monumentalität schwer zu übersehen ist. Die Konzentration auf Blick und Gebärde der Figuren aber führt zu einer bedeutsame Aufgabe der Körperlichkeit und dadurch zur Erstarrung der Konturen. Dieser Eindruck wird weiter durch die Vertilgung malerischer Nuancierung bekräftigt. Die Bilder wirken irreal und abstrakt und es macht sich eine Distanzierung von allem, was die vorausgegengenen Kunstepochen an Beispielen buchmalerischer Miniaturen hinterlassen haben, spürbar.

Zugleich ist die Bamberger Apokalypse als einen letzten Höhepunkt der Trierer Werkstatt zu verstehen. In ihr entfaltet sich die apokalyptische Vision in vollem Einklang mit den stilistischen Spezifika ottonischer Buchmalerei. In diesem Sinne ist dieser Stil hier zur Vollendung gebracht. Die darauf folgenden Werke lassen keine Erneuerungstriebe verzeichnen und zeugen nur von der weiteren Ausbreitung und dem Wiederaufgreifen schon bekannter Grundformen.

Obwohl am zahlreichsten mit Werken belegt, sind die Trierer Werkstätten nicht die einzigen, die die ottonische Buchmalerei mitgeprägt haben. Weniger innovativ und deswegen Trier zutiefst verpflichtet, dagegen aber hervorragend durch die meisterhafte Anwendung schon etablierter Bildmotive, war die Echternacher Werkstatt. Ihre Handschriften wirken prachtvoller und deshalb auch majestetischer, weil deren Ausstattung an Reichtum kaum übertroffen wurde. Mit der Zuspitzung der Kirchenreform kann man in Echternach von einer Akzentverschiebung in der Bildkomposition sprechen, die in der zunehmenden Aufnahme architektonischer Elemente zum Ausdruck kommt. Weitere Skriptorien und Malwerkstätten lassen sich in Regensburg und in Hildesheim (
Bernwards-Evangeliar (um 1000) Abendmahl > Bild 140) lokalisieren. Während die ersteren eine nirgendwo anders vergleichbare Neigung zum Geometrischen in der Bildgestaltung auszeichnet, kommt dem Hildesheimer Skriptorium eine im Unterschied zu anderen Kunstgattungen ziemlich geringere Bedeutung zu.

Ein Kunstzentrum, das mit dem Trierer erfolgreich wetteiferte, entstand in Köln (Evangeliar aus St. Gereon in Köln (um 996, Köln; Köln: Historisches Archiv) http://www.kroenungen.de/history/index.htm >Zeitreise>900-1000>Exponate>Bild 2). Ein eindruckvoller Reichtum an Bildthemen wirkte sich hier fördernd auf die Herausbildung eines berechtigterweise als malerisch zu bezeichnenden Stils aus. Die im Hitda-Codex (Anfang des 11. Jahrhunderts, Köln; Darmstadt: Hessische Landesbibliothek; Hitda-Codex) gebrauchten Farben werden sehr kontrastvoll auf einander bezogen. Dagegen nimmt die Schärfe der Konturen ab. Architektonische und geometrisierende Motive sind eher eine Seltenheit. Eine charakteristische Gestaltung des Bildraumes kommt im Ebo-Evangeliar und im Utrecht-Psalter vor. Der Bildraum ist ganz im Dienste der abgebildeten Handlungsträger der bildnerisch dargestellten Erzählung organisiert. Die zweite Phase der Kölner Malerei charakterisiert sich durch eine geschickte Aufeinanderbezogenheit von Rahmen und Architektur. Ein enges Verhältnis besteht ebenfalls zwischen Rahmen und Gestalt. Die Abschlußphase in der Entwicklung der Kölner Werkstatt und zugleich ihren Höhepunkt bildet das Evangeliar im Kölner Priesterseminar (um 1030). Markant ist hier der Ersatz landschaftlicher Motive durch architektonisch aufgefaßte kirchliche Innenräumlichkeit, die Bildzeichen ähnelt. Dies korrespondiert mit der Darstellung der menschlichen Gestalt, die von dem Rahmen hervorgehoben wird.

Gewisse Überschneidungen kommen zwischen der Trierer Gruppe (Liuthargruppe) und der Kölner Schule zustande, die eine Symbiose der künstlerischen Ausdrucksformen des Gregoriusmeisters mit dem "malerischen" Stil der Werkstatt in Köln ermöglichen. Diese relativ schnelle Wanderung von Ideen und Gestaltungsmitteln wird nicht zuletzt durch den intensiven Ortswechsel der Malermönche gefördert. Auf diese Art und Weise kam es zur Entstehung eines ganzen Netzes von Werkstätten, die gleichermaßen Adepte Trierer und Kölner Formen und Motive wurden.