Freistehende Kathedralplastik
Unübertroffene Höhepunkte
der spätromanischen Plastik in Deutschland exemplifizieren die Meisterwerke
der Dome in Bamberg (http://www.erzbistum-bamberg.de/kunst_kultur/virtueller_domrundgang/inhalt.html) und
Naumburg (
http://www.naumburgerdom.de
http://www.konabi.de/deutsch/nmb.htm),
deren Künstler - für das mittelalterliche Verständnis von Schöpfertum
allerdings typisch - anonym geblieben sind. Nachweisen läßt sich am
Bamberger Beispiel jedoch der französische Einfluß und insbesondere
die Nähe zu den stilistischen Merkmalen der Reimser Bauhütte, die in
erster Linie im reichen, sich dem Körper anschmiegenden Faltenentwurf
und der Auswägung der Figur aus dem Gegensatz von Stand- und Spielbein
zum Ausdruck kommt. Es sind aber auch Unterschiede zu Frankreich festzustellen,
die der deutschen plastischen Kunst dieser Zeit einen Hauch von Eigenartigkeit
verleihen. Den Bamberger Plastiken wohnt Einzelhaftigkeit und Einsamkeit
inne, die durch eine weitgehende Loslösung der Statuen von der für Frankreich
charakteristischen reihenhaften Einordnung einem architektonischen Ganzen
zustande kommt. Dies macht die Erkennung von gruppenbildender Aufeinanderbezogenheit
der Figuren manchmal wirklich schwer. So ist der Fall bei der plastischen
Darstellung der Maria und Elisabeth (http://www.bildindex.de/Orte_1_2_73_3_3_4_1.htm
>Bild 15) aus dem nördlichen Seitenschiff des Bamberger Doms. Entstanden
sind die 180 cm hohen, in Sandstein ausgeführten Gestalten um 1230.
Markant ist für beide die durch Staffelung und gegensätzlich gerichtete
Falten gewonnene Bewegung der Gewänder.
Viel ausgeprägter
ist die Zusammengehörigkeit bei den Frauenfiguren der Synagoge und der
Ekklesia (http://www.bildindex.de/Orte_1_2_73_3_2_2_1.htm
>Bilder 178-195/202-229) des Fürstenportals (http://www.bildindex.de/Orte_1_2_73_3_2_2_1.htm),
die ebenso eine Höhe von 180 cm aufweisen und ein Wiederaufgreifen der
seit der Antike ziemlich vernachlässigten Darstellung von Frauengestalten
deutlich machen. Die Synagoge steht als Versinnbildlichung des Alten
und die Ekklesia des Neuen Testaments. Ihre königliche Haltung entspricht
völlig der Positionierung am Fürstenportal (http://www.rwatzke.com/hubel/vorwort/index.htm)
des Bamberger Doms. Zwischen den Figuren besteht eine enge symbolische
Verbundenheit. Zerbrochen ist der Lanzenschaft der Synagoge und gebunden
ihre Augen, was darauf hindeutet, daß sie für die Botschaft des Erlösers
blind war und deswegen ist auch ihre Herrschaft einem Ende geweiht.
Immerhin ist sie würdevoll und schön dargestellt, was durch die sanften
Gesichtszüge und die Haartracht deutlich hervortritt. Der Leib wird
von einem durch leuchtenden Schmuck am Hals zusammengehaltenen Kleid
zart verhüllt, das sich am Oberkörper in langgezogenen Rhythmen und
am Unterkörper in leichter Wellung faltet. Die Mächtigkeit der Ekklesia
wird durch die Krone auf ihrem Haupt betont. Strenger ist ihr Gesicht,
umrahmt von Locken, die bis zu den Schultern reichen. Von der inneren
Tragik, die die Partnerfigur empfinden läßt, ist hier keine Spur. Kontrastreicher
umgeben die Faltenzüge ihres Gewandes den unteren Körperteil. Stolz
und nachdenklich erscheint die Ekklesia in ihrer starken Jugend, die
mit einer unübersehbaren Klarheit und Entschlossenheit des Empfindens
in Einklang gebracht wird. Fast zur gleichen Zeit (um 1225-30) entstand
auch das Ecclesia-Synagoge-Paar am Marienportal (http://www.oeuvre-notre-dame.org/index2all.htm
>Glossar zur gotischen Architektur>Südportal>Ecclesia+Synagoge)
des Straßburger Münsters, das aber dank der räumlichen Nähe zum längst
unter dem Zeichen der Gotik stehenden Frankreich schon frühgotisch wirkt.
Die Portalfiguren (http://www.oeuvre-notre-dame.org/index2all.htm
>Glossar zur gotischen Architektur>Salomon) am südlichen Querschiff
sowie die Engelfiguren der Bündelpfeiler (http://www.oeuvre-notre-dame.org/index2all.htm
>Querhaus und Vierung>Engelspfeiler oder Pfeiler des Jüngsten Gerichts)
in Inneren des Münsters von Straßburg (ebenso um 1225-30) bilden weitere
markante Beispiele für die freistehende Kathedralplastik jener Übergangsepoche
in der Geschichte der deutschen Bildhauerkunst des Mittelalters. Nebst
der Gestalten der Synagoge und der Ekklesia, die zu beiden Seiten der
Portalwand standen (nun im südlichen Seitenschiff), schmückt die Reihe
der auf den Schultern der Propheten fußenden Apostel das Gewände und
über ihnen ein Engel das Fürstenportal des Domes zu Bamberg. Insbesondere
treten der dem Tuba blasenden Engel (http://www.bildindex.de/Orte_1_2_73_3_2_2_1.htm
>Bild 168-172) zur Seite sitzende Abraham und im Bogenfeld Christus
als Weltenrichter beim Jüngsten Gericht hervor.
Von demselben, französisch
geschulten Meister des Fürstenportals stammen auch die sogenannte Adamspforte
(um 1230) am Bamberger Dom (http://www.bamberg-infoline.de/glaesern/ba31.htm) und in seinem Innern der Bamberger Reiter. Zwei der insgesamt sechs Gewändefiguren der Adamspforte (http://www.bildindex.de/Orte_1_2_73_3_2_4_1.htm)
sind dem Namensgeber Adam und Eva gewidmet. Zwei weitere stellen Kaiser
Heinrich II. und seine Gemahlin Kunigunde dar (Adamspforte
im Bamberger Dom - Heinrich II. und Kunigunde 1 / Adamspforte
im Bamberger Dom - Heinrich II. 2). Daß Adam und Eva (http://www.bildindex.de/Orte_1_2_73_3_2_4_1.htm >Bilder 73-90) als Symbole des Sündenfalls der Menschheit ausgerechnet am Kirchenportal (Ostseite) lebensgroß und nackt auftreten, darf man zurecht als eine kühne und umstürzende Neuerung bei der Themenwahl verstehen. Allerdings ist ihre Nacktheit mit der griechischen Körperverehrung nicht gleichzusetzen, sondern leitet sich aus dem Alten Testament ab und in
diesem Sinne aufs engste mit dem Religiosen verbunden. Deutlich erkennbar
ist der Kontrast zwischen Körper und Haupt. Während der Leib zeichnerisch-spröde
umrissen wird, ist bei der Gestaltung des Kopfes eine Versinnbildlichung
des Geistes vergegenwärtigt.
Auf blattgeschmücktem Sockel, der mit einem Pfeiler am Aufgang zum Georgenchor verbunden ist, steht eine Reiterfigur (um 1230, etwa 130 cm hoch), die in die Kunstgeschichte als der Bamberger Reiter ( Bamberger Reiter (Georgenchor des Bamberger Doms)
http://www.mediaglobe.de/bamberg/Bam_re.htm
http://www.geschichte.2me.net/dch/dch_652.htm
http://www.silli-web.de/dtl/bambergdom.htm)
eingegangen ist. Königliche Überlegenheit und vornehme Lässigkeit suggeriert
der fernensüchtige Blick des sich hoch über den Köpfen der Kirchenbesucher
erhebenden Jünglings. Tadellos sitzt er im Sattel mit der Hand den Mantelriemen
haltend. Nur der gekrönte Kopf dreht sich aus der Reitrichtung und macht
ein selbstbewußtes Gesicht und ein frei fallendes Lockenhaar ersichtlich.
Ein Baldachin mit architektonischen Mustern schirmt ihn nach oben ab.
Ziemlich umstritten ist unter den Kunsthistorikern die Person, die der
Reiter präsentiert. Die Vermutungen reichen von dem Kirchenpatron (dem
Heiligen Georg), über König Stephan von Ungarn (Schwager des Domstifters
- Kaiser Heinrich II.) und einen König-Kanonikus (im Sinne von Verknüpfung
weltlicher Macht und geistlichen Dienstes) bis Kaiser Konstantin den
Großen (286-337, erster christlicher Kaiser Roms).
Am Beispiel der plastischen Darstellungen aus Bamberg, die zu den schönsten Werken der romanischen Übergangszeit zählen, läßt sich eine Entwicklung in der Bildhauerkunst veranschaulichen, die am Ende einer allmählichen Aufgabe ursprünglicher Strenge steht, was die Grundlage für eine lockere Gestaltung schafft und in der Anpassung des bisweilen starr geordneten Faltenwurfs an die Bewegung der Glieder Ausdruck findet.
Eine gewisse Gegensätzlichkeit stellt man beim Vergleich der Plastik aus dem Bamberger mit dieser aus dem Naumburger Dom fest. Um 1250 schuf der Naumburger Meister, dessen Namen ebenfalls nicht überliefert ist, aus Kalkstein lebensgroße Figuren, die an den inneren Westchorwänden des hiesigen Domes aufgestellt wurden. Dargestellt sind die Domstifter aus dem elften und dem frühen zwölften Jahrhundert, unter denen man zwei Ehepaare, sechs Männer und zwei Frauen aufzählen kann. Über jeder Statue, zu deren Füßen die Blendsäulen angedeuteter Arkaden spitzbogig auslaufen, ragt ein Baldachin empor. Die beiden Ehepaare umrahmen den Übergang vom Vorchor zum Hochchor. Links stehen Hermann und Reglindis und rechts Eckehart und Uta ( Ekkehard und Uta - Westchor des Naumburger Domes
http://www.geschichte.2me.net/dch/dch_592.htm
http://www.konabi.de/deutsch/nmb.htm,
Uta - Westchor des Naumburger Domes). Ihre interne sowie externe Aufeinanderbezogenheit ist durch einen Gegensatz geprägt, Einsamkeit und Schwermut bilden andererseits ein sich wiederholendes Motiv. Beim linken Paar rekrutiert sich die
innere Spannung aus der Gegenüberstellung von Hermanns Melancholie und
Reglindis Fröhlichkeit. Spürbar ist in der Haltung des Mannes die Abwendung
von der ritterlichen Welt, während die lächelnde Frau sie sorgenlos
genießt und ihren Mantel standesgemäß trägt. Ganz anders dargestellt,
treten Eckehart und Uta deutlich in Opposition zum linken Paar auf.
Der Bruder Hermanns, der wegen seiner Zuverlässigkeit als Helfer der
deutschen Kaiser den "getreuen Eckehart" genannt wurde, wirkt hart und
aufgerichtet. Entschieden hält er das Schwert in der linken Hand, und
seine Rechte zieht den Schild zur Schulter hoch. Anders als bei Hermann
strahlt aus Eckehart Selbstgewißheit und Lebensfülle, die ihn als mächtigen
Schützer seiner zarten Frau ausweisen lassen. In ihrem schweren Mantel
verhüllt, zeigt sie eine unübersehbare Distanz zur Lebensfreude ihres
Gatten. Die edlen Züge ihres Antlitzes werden durch die schmalen Brauen
hervorgehoben, doch verschließt sich Utas ernsthaft-schönes Gesicht
nach innen. Die Scheidelinie zwischen ihr und Eckehart bildet die Mantelsschranke, die sich an dieser Seite starr und wie abwehrend aufbaut. Dramatisch
stuft sich das Gewand an der anderen Seite, eine geheime, nach außen
dringende Seelenbewegung anmutend. Die empfindlichen Hände bekräftigen
den Eindruck von der Zartheit ihrer Statur.
Die weiteren Männerstatuen verewigen auf individualisierende Art und Weise Dietmar (hinter dem Schild hervorspähend), Sizzo als Rufer im Streit, Timo voll Zorn, den hitzigen Dietrich (mit geöffnetem Mund, breit und stämmig), Wilhelm von Kamburg (tatfern und melancholisch, mit verhüllten Rechten lässig die Waffen mit der Linken haltend).
Im Unterschied zu Reglindis und Uta, die zwei verschiedene Lebensauffassungen verkörpern, wirkt Gerburg weltoffen, was an der Öffnung des Mantels durch die rechte Hand deutlich wird, aber zugleich sicher und reif. Das Buch in ihrer Linken zeugt von dem Drang ihres Geistes nach Präsenz. Die dramatische Erscheinung dieser Figur tritt am deutlichsten bei der plastischen Darstellung des Faltenfalls ihrer Gewänder hervor. Von links nach rechts nimmt die Bewegung zu, bekräftigt durch den leichten Vorschub des rechten Beins. Ihr scheint Dietmar gegenübergestellt zu sein. Gespannt, sogar ein wenig beängstigt, steht er, quasi hinter seinem Schild versteckt, in Kampfbereitschaft da.
Die Figuren aus dem Naumburger Dom, in denen eine vollendete Einheit von Architektur und Plastik zum Ausdruck kommt, markieren noch deutlicher als die plastischen Werke in Bamberg den Übergang von der Romanik zur Gotik. Die detailgetreue Abbildung der Stifter war angesichts der zeitlichen Enfernung von fast 200 Jahren, die zwischen ihren Lebzeiten und der Entstehung der Statuen lag, kaum möglich. Vielmehr legen die Gestalten ein Zeugnis von der Emanzipation des Zeitgeistes und seinem künstlerischen Verständnis für die Freude an der Persönlichkiet ab. Nie früher hat man in einem Kirchenraum so zahlreich weltliche Figuren von dieser Größe und solcher starken Körperlichkeit nebeneinander gebracht. Auf eine natürliche Weise verbinden ihre menschlichen Schicksale, die so bildhaft vom Naumburger Meister wiedergegeben werden, Irdisches, Träumerisches, Kämpferisches und selbst Dämonisches mit einem tiefen Seelenheil.
Freudenstädter Lesepult (1172)
http://www.bildindex.de/Orte_1_6_258_2_5_2_1.htm
Triumphkreuz im Chorbogen des Doms in Osnabrück (1220-1230)
http://www.osnabrueck.de/erlebnis/1542.html |